In Kammerstein entsteht derzeit die wohl größte Freiflächen-Photovoltaikanlage im nördlichen Landkreis Roth. Gleichzeitig werden die Pläne für ein Nahwärmenetz mit Holzheizung konkreter. „Wir sind stolz auf unseren Beitrag zur Energiewende“, sagt deshalb Bürgermeister Wolfram Göll.
Bei der Energiewende ging es bisher vor allem um Klimaschutz. Durch den russischen Angriff auf die Ukraine ist Energiepolitik aber auch Sicherheitspolitik geworden. In Kammerstein hat die Gemeinde das Thema schon 2007 angegangen und wurde mit dem „European Energy Award“ ausgezeichnet. „Die machen das schon gut und tun ja auch wirklich was“, sagt der Rother Architekt Jörg Ermisch, der die Bauleitplanung für den neuen „Solarpark Kammerstein“ erstellt hat.
Die erste Freiflächen-Photovoltaikanlage im Gemeindegebiet ist bereits seit einigen Jahren in Albersreuth in Betrieb. Sie ist etwa acht Hektar groß. Die zweite zwischen Volkersgau und Dechendorf umfasst etwa vier Hektar und ist im Frühjahr ans Netz gegangen. Nun folgt an der B466 neben der Gemeindestraße nach Volkersgau die dritte und größte Anlage in Kammerstein und Umgebung.
Die BayWa-Tochter BayWa.re errichtet auf rund 10 Hektar ein Projekt mit einer Leistung von 9,9 Megawatt in der Spitze (MWp). „Das entspricht dem Jahresverbrauch von etwa 2900 durchschnittlichen Haushalten“, erklärt Raphael Lohrer von der BayWa.re-Unternehmenskommunikation in München gegenüber dem Schwabacher Tagblatt. BayWa.re ist im Bereich erneuerbarer Energie international engagiert und hat Niederlassungen in 29 Ländern. Im Landkreis Roth ist es deren erste Anlage.
Alleine sie wird damit wesentlich mehr Strom liefern, als die rund 1300 Privathaushalte in Kammerstein benötigen. „Da sind wir also gut dabei“, freut sich Bürgermeister Göll. „Es ist logisch, dass die Landgemeinden bei der Energiewende mehr leisten müssen als die großen Städte. Wo soll man denn in den großen Städten solche Anlagen bauen?“, so der Bürgermeister. Der Gemeinderat hatte den neuen Anlagen auch mit klarer Mehrheit zugestimmt.
Die von der Bundesstraße aus unübersehbaren Bauarbeiten haben im Februar begonnen. „Ende April werden wir fertig sein, der Netzanschluss erfolgt Anfang Mai“, umreißt der BayWa.re-Sprecher die Zeitplanung.
Gerade begonnen haben auch die Arbeiten für die neue Kabeltrasse. Die ist notwendig, weil das in Kammerstein vorhandene Netz der N-Ergie für die neue große Anlage nicht ausreicht. Der Strom wird deshalb über rund vier Kilometer entlang der B466 zu einem Netzanschlusspunkt nach Schwabach südlich der Autobahn geleitet und dort eingespeist.
„Die Realisierung des Solarparks läuft bisher vorbildlich“, betont Jörg Ermisch, der neben der Bauleitplanung auch mit der ökologischen Baubegleitung betraut ist: „Die Flächen wurden bereits 2021 mit einheimischem Saatgut für eine Frischwiese mit Kräutern angesät, damit auch unter den Modultischen blütenreiches standortgerechtes Extensivgrünland entwickelt werden kann.“
Und: „Stahlplatten im Zufahrtsbereich zur Baustelle und der Einsatz von Raupenfahrzeugen sorgen für geringstmögliche Bodenverdichtung und die Zäune wurden mit dem vorgegebenen Bodenabstand errichtet, um eine Durchgängigkeit für Kleinsäuger zu gewährleisten“, erklärt Architekt Ermisch.
Im Herbst 2022 erfolgen noch eine Heckenpflanzung zur landschaftlichen Einbindung sowie Biotopgestaltungsmaßnahmen zum nördlich gelegenen Waldrand hin, die Lebensräume vor allem für Reptilien bieten werden. Freiflächen-PV-Anlagen werden aber etwa vom Bayerischen Bauernverband wegen des Flächenverbrauchs landwirtschaftlicher Flächen auch kritisch gesehen. „Es gibt die Flächenkonkurrenz“, räumt auch Jörg Ermisch ein. „Aber ich halte sie für lösbar.“
Ermisch ist seit langen Jahren bei der Planung solcher Anlagen eingebunden: „Es gibt ausschließlich gute Erfahrungen. Photovoltaik ist die billigste Form der Stromversorgung mit schneller Bauzeit. Und die sogenannte Flächeneffizienz ist höher als etwa beim Anbau für Biogasanlagen.“ Heißt: weniger Fläche für mehr Strom.
Ein weiterer Faktor wird zudem in der Debatte meist übersehen: Während der rund 30 Jahre, in denen eine Freiflächen-PV-Anlage eine Fläche belegt, wird dort nicht gedüngt. Die Böden und das Grundwasser können sich also von der weit verbreiteten Überdüngung und überhöhten Nitratwerten erholen – ein starkes Argument pro PV, nicht nur in Wasserschutzgebieten.
Vom Kammersteiner Solarpark könnten die Kammersteiner Bürgerinnen und Bürger auch finanziell profitieren: Geplant ist eine Bürgerbeteiligung in Form von Nachrangdarlehen. Die Rede ist von jährlich 3,5 Prozent Zinsen auf sieben Jahre. Der aktuelle Stand: „Die Prüfung der Unterlagen hat sich leider verzögert. Wir rechnen mit einer Rückmeldung der BaFin in den nächsten Wochen“, so BayWa.re.
Einen weiteren Beitrag zur Energiewende plant die ehrenamtliche Nahwärmeinitiative, die von Gemeinderat Jürgen Melzer ins Leben gerufen wurde. Die Idee: drei Genossenschaften in Kammerstein, Barthelmesaurach und Haag. Die Wärme soll im Wesentlichen aus heimischem Holz stammen plus der Abwärme vom Biogaskraftwerk am Kreisverkehr in Kammerstein. „In Kammerstein sind wir mit derzeit angenommenen 71 Teilnehmern auf einem potentiell guten Weg“, beschreibt Jürgen Melzer die aktuelle Situation.
„Für Barthelmesaurach zeichnet sich derzeit keine Lösung ab und auch für Haag ist die Anzahl der Interessenten noch nicht ausreichend.“ Jürgen Melzer ist überzeugt: „In Anbetracht der aktuellen Kostenexplosion bei den Energiepreisen ist ein Nahwärmenetz sowohl ökonomisch als auch in Bezug auf den politischen Hintergrund eine der besten Möglichkeiten, sich regional mit Energie zu versorgen.“
Wer sich für einen Anschluss interessiert, kann sich bei der Interessengruppe jederzeit unverbindlich melden. Eine Informationsveranstaltung mit einer aussagefähigen Kalkulation soll im April im Bürgerhaus stattfinden. Ansprechpartner sind neben Jürgen Melzer für Kammerstein auch Kammersteins zweiter Bürgermeister Andreas Lippert für Haag und dritter Bürgermeister Christian Böhm für Barthelmesaurach.
Info: www.nahwaerme-kammerstein.de
Günther Wilhelm (ST) / wog
Der neue „Solarpark Kammerstein“ an der B466. Hier entsteht eine Freiflächen-PV-Anlage, die Strom für rund 2900 Durchschnittshaushalte produziert. Die Anlage soll Anfang Mai ans Netz gehen.